Wie geht männliche Galanterie in Zeiten weiblicher Vorstands-Power? Ein Zwiegespräch zwischen Katharina Starlay und Fabrizio Galli Zugaro – Teil 2

Der erste Teil unserer Trilogie beantwortet die Frage, inwieweit Galanterie gegenüber Frauen heute noch zeitgemäß ist? Wo endet Authentizität – und wo beginnt eine Rolle?

Dort beleuchten Fabrizio Galli Zugaro und Katharina Starlay die Gesten im Gender-Talk neu und beschreiben die Etikette 4.0 rund um Begrüßen, Vorstellen, Duzangebot und In-den-Mantel-helfen innerhalb und außerhalb von Hierarchien in Unternehmen. Sie kommen zu dem Schluss, dass Galanterie heute mehr denn je erwünscht – und keine Frage der Geschlechter mehr ist. Als kritische:r Leser:in fragen Sie sich nun aber natürlich: Hat das auch der sprichwörtliche alte weiße Mann inzwischen verstanden?

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Fabrizio:

Wir „alten weißen Männer“ haben in uns ein System der Höflichkeit, das aber die Augenhöhe zwischen Frauen und Männern in keiner Weise infrage stellen soll, Nettigkeiten oder sinnvolle Hilfestellungen etwa. Das kommt nicht immer gut an. Wenn aber ein Beruf das Aufhalten der Autotür explizit vorsieht wie bei einem Hotelangestellten an der Einfahrt eines Hotels, sehe ich kein Problem ob Frau oder Mann, auch wenn ich es alleine noch gut schaffe.

Katharina:

Es ist toll, wenn die oder der andere einfach die Augen aufmacht. Höflichkeit heißt doch nichts weiter als den anderen zu sehen. Ich nenne es die Eleganz des Geistes. Der Mantel zum Beispiel sollte tief genug mit den Armlöchern auf Höhe der Handgelenke des anderen angeboten werden. Nur dann muss sich die andere Person nicht verrenken. Viele Menschen halten den Mantel aber zu hoch …

Im Restaurant bezahlt, wer es ausgesucht oder vorgeschlagen und damit den Preisrahmen festgelegt hat, inklusive Tischbestellung. Dennoch ist der Hinweis „Sie/Du bist heute eingeladen bzw. mein Gast!“ auch im Privaten hilfreich. Eine schöne Spielregel besagt zudem, dass die oder der Gastgeber:in Gerichte von der Karte vorschlägt oder empfiehlt. Damit weiß, wer eingeladen ist automatisch, in welcher Preishöhe sie oder er wählen kann. Viele kennen diese Zeichensprache  heute nicht mehr.

Beim Bezahlen ist es schön, wenn man sich bei einer Einladung nicht die Rechnung an den Tisch bringen lässt, sondern sie diskret begleicht, wenn man vom Händewaschen zurückkommt.

Fabrizio:

Bezahlen. Ja, das ist eigentlich ein Thema, wie viele der schon angesprochenen. Es ist immer schön, wenn der Mann bezahlt, finde ich. Aber das ist wieder die Sicht des sogenannten alten weißen Mannes. Es darf auch mal andersherum sein. Ist es nicht schön, verwöhnt zu werden? Und wenn etwa eine Frau aus dem Auto steigt und einen „umständlichen“ Rock und hohe Absätze trägt, umso mehr ist sie in der Regel froh, wenn man ihr behilflich ist. Das gilt im Privaten wie im Beruflichen. Wenn aber zum Beispiel eine Dame explizit nicht unterstützt werden möchte, sollte es der Herr mit Nonchalance kommentarlos und einem netten Lächeln bitte sein lassen. Aber auch Männer dürfen sich mal verwöhnen lassen.

Katharina:

Wir Damen wären sehr froh zu hören, wie?

Fabrizio:

Ich habe in meinem Leben selten Blumen von einer Dame geschenkt bekommen, aber habe mich diese wenigen Male unglaublich gefreut. So konnte ich eine so unübliche Geste, die ich immer wieder selbst von Herzen gemacht habe, auch mal genießen. Ich denke heute noch mit großen Emotionen daran. Am einfachsten würde ich Deine Frage so beantworten: Verwöhnt uns einfach so, wie ihr verwöhnt werden wollt.

Schön sind doch immer kleine Gesten und kleine Geschenke. Eine kleine Geste ist zum Beispiel ein Anruf nach einem vermeintlich schwierigen Termin, verbunden mit zwei Fragen: „Wie ist das Gespräch verlaufen? Und wie geht es Dir nun?“. Mit einem kleinen Geschenk meine ich nicht etwas Formelles, stur nach Etikette-Regeln wie eine Marken-Krawatte zu einem neuen Job zu schenken. Das ist ganz nett und nützlich, aber etwas kühl, oder? Eher etwas, das unerwartet ist und mir Emotionen vermittelt. Entnimmt die Dame aus unseren Gesprächen, dass ich einen Faible für nordeuropäische Geschichte habe, kann sie mir ein ausgesuchtes Buch darüber schenken. Das zeigt Aufmerksamkeit. Sie hat zugehört und eventuell meine Augen glitzern sehen, als ich von Heldensagen schwärmte. Ein Tipp: Verschenke das, was dem Empfänger:in gefallen könnte, nicht was Du selber gut findest. Vielen Schenkenden ist das leider ziemlich „wurscht“, da es Ihnen eher darum geht, sich selbst zu profilieren, sich quasi selbst zu beschenken.

Um wieder auf die Blumen zu kommen, achte auf Farbe und Anzahl, besonders bei roten Rosen.

Geschenke, die Freude machen

Katharina:

Menschen wollen verführt werden, sich erkannt und angenommen fühlen! Darum braucht es eine Geste, die den anderen in seinen Vorlieben berührt und anerkennt. Wenn Du das Buch schon hast, lässt es sich ja umtauschen, sofern noch keine Widmung drin steht. Die Geste aber bleibt bestehen. Nochmal eine weibliche Rückfrage: Können wir das mit der Anzahl der Rosen bitte vertiefen, wie Du es aus Italien kennst?

Fabrizio:

Die Zahl der Blumen, die man schenkt, muss immer ungerade sein. Einzige Ausnahme sind rote Rosen: 12 rote Rosen schenkt man, wenn man jemandem damit sagen will: „Ich liebe Dich oder ich habe Dich sehr lieb“. „24 rote Rosen sind noch das Sahnehäubchen („Ich liebe Dich unendlich“). Wenn man dann ganz übertreiben will, werden es 36, 48 … Rosen, das grenzt aber dann an Protzerei. Und noch etwas: Vor allem im Süden Italiens, aber mittlerweile hat sich das auf ganz Italien ausgeweitet, schenkt man zum Beispiel keine Chrysanthemen, wenn man privat zum Abendessen eingeladen ist. Chrysanthemen sind die Blumen für den Friedhof, das bringt Unglück!

Galanterie gegenüber Frauen

Katharina:

… einen Fahrstuhlknopf drücken wir doch glatt selbst. Wenn wir aber mit männlichen Kollegen im Büroflur unterwegs sind und hohe Schuhe tragen, wäre es echt nett, wenn manche Herren ihren Schritt dem anpassen würden. Ein High-Heel ist kein Turnschuh …

Fabrizio:

Die langsamste Person gehört nicht alleine gelassen – und wenn es wegen der Schuhe ist. Aber die Rücksichtnahme auf die weibliche Bekleidung gehört ja auch in andere Szenarien. Ich wechsle jetzt mal die Perspektive und denke an Sitzgelegenheiten, die man Frauen manchmal so anbietet. Die sind nicht immer frauenfreundlich, wenn die Dame einen Rock trägt! Das Unbehagen überträgt sich doch auf die gesamte Situation.

Katharina:

Das erinnert mich an ein Setting in einer Podiumsdiskussion. Die Veranstalter hatten uns Barhocker hingestellt, frontal zur Kamera. Das war sehr gut gemeint, nur war es nicht zu Ende gedacht: Die Herren saßen – obwohl im Anzug – durchweg wie Cowboys auf ihren Hockern und hielten während der einstündigen Aufnahmen instinktiv die Hände übereinander gelegt vor den Schritt, die Damen mussten ständig ihre Beine organisieren … Und ich hatte ein schmales Kleid mit kniekurzem Rock an.

Zu den Blumen möchte ich noch anmerken, dass nicht zuletzt die Situation entscheidet, ob sie passend sind: Es ist ja lieb gemeint, einen Strauß mitzubringen. Wenn aber zum Beispiel die Dame  gerade aus dem Büro kommt, noch einen Einkauf dabei hat und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, wird sie die Geste nicht so charmant finden. Genauso übrigens wie ein:e Referent:in, die oder der nach dem Vortrag vor Publikum einen Blumenstrauß gereicht bekommt … aber vier Stunden mit dem Zug angereist ist. Wie soll er oder sie damit heil nach Hause kommen und noch Freude daran haben?

Bezahlen im Restaurant, Komplimente und rote Rosen

Fabrizio:              

Dass Frau und Mann oder jegliche gleichgeschlechtliche und diverse Konstellationen sich anziehen und Beziehungen entstehen können, ist das normalste auf der Welt! Gut ist es, wenn das Universum zwei Personen zusammenbringt, die zueinander passen. So wird das mit den Flirt- und Dating Aktionen und den Komplimenten gut und angenehm verlaufen. Wenn das Kompliment so ausgedrückt wird, dass es der oder dem Empfänger:in gefällt, Freude macht und nicht stört, ist alles fein. Schön wäre es, wenn es keine Missverständnisse gäbe. Theoretisch.

Aber wie sieht ein Flirt-Abend aus, wenn zum Beispiel der Mann sagen würde: „Meine liebe XY, ich habe Dich zum Essen eingeladen, weil Du mir gefällst, weil ich vorhabe, mit Dir ins Bett zu gehen und wenn es weiter geht, Dich eventuell zu heiraten, mit vielen Kindern. Wenn nicht, war es halt eine schöne gemeinsame Nacht, auch okay.“ Könnte gut funktionieren – oder auch nicht. Aber ist da nicht ein bisschen Poesie und Spannung abhandengekommen? Wie Du sagtest, geht es doch mehr um Verführung als Eroberung! Die Kunst ist, Komplimente so zu machen, dass Sie nicht erlernt oder gespielt wirken, sondern situations- und empfängerbedingt, also einfach gut funktionieren. Feingefühl, gute Erziehung und immer wieder Respekt!

Katharina:

Komplimente zu machen, die „mit der Tür ins Haus“ fallen, ist wie Kleidung zu tragen, die so viel Information über die körperlichen Vorzüge liefert, dass dem Betrachter kein Raum mehr für Fantasie bleibt. Da geht jede Spannung verloren … Auch beim Kennenlernen bin ich ein Fan der gegenseitigen Gesten. Es gibt keinen erkennbaren Grund mehr, dass alleine der Mann zu zahlen hat. Natürlich aber ist es nett, wenn er das tut! Damit sagt er ja auch etwas aus, zum Beispiel, dass er großzügig denkt und bereit ist, zu verwöhnen. Das sind erstrebenswerte Eigenschaften bei einem potenziellen Partner … Aber auch bei einer Partnerin! Wenn das Budget nicht so groß ist, kann man den Kostenrahmen wieder durch die Wahl des Lokals eingrenzen.

Bei einem ersten Date oder auch beim Treffen mit Freunden im 4-Augen-Gespräch finde ich es schön, wenn man sich gegenseitig einladen kann. Zum Beispiel eine:r zahlt das Essen und der/die andere das Eis hinterher … und beim hoffentlich nächsten Mal ist es dann umgekehrt. Frauen fühlen sich aber vor den Kopf gestoßen, wenn ein Mann „gerade kein Geld dabei“ hat und sich einladen lässt. Das ist dann das Ende des Flirts, bevor er begonnen hat. Das berühmte Splitten der Rechnung ist passend, wenn mehrere Leute verabredet sind, was ja auf ein Date nicht zutrifft.

Noch eine Bemerkung zur Kommunikation: Viele Frauen bemerken, dass Männer besonders in der Anfangsphase eines Kennenlernens oder während eines ersten Dates fast nahtlos über sich selbst sprechen und sehr wenige Fragen stellen. Die Frau ihrerseits wertet das aber als einen Mangel an Interesse und der Fähigkeit, zuhören zu können. Zuhören gilt aber als Zauberformel, um Menschen für sich zu gewinnen. Und damit sind wir wieder bei der Aufmerksamkeit.

Gesprächspartner Fabrizio Baron Galli Zugaro ist Bankmanager, Coach, Mentor und Trainer für interkulturellen Umgang und Business Etikette.

Foto: Cottonbro, lizenzfrei von Pexels