Wie geht männliche Galanterie in Zeiten weiblicher Vorstands-Power? – Ein Zwiegespräch zwischen Katharina Starlay und Fabrizio Galli Zugaro – Teil 1
Immer mehr Frauen übernehmen im Job große Verantwortung und bewegen sich souverän in den Riten einer noch immer männlich geprägten Geschäftswelt. Sie haben den symbolischen Ärmel hochgekrempelt, wie es scheint. Ist Galanterie gegenüber Frauen überhaupt noch zeitgemäß?
Und gibt es einen Unterschied zwischen dem beruflichen und dem privaten Umfeld?
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Fabrizio:
Höflichkeit und Gesten gegenüber anderen sagen doch etwas über Ehrlichkeit, Wertschätzung und innere Werte aus, die Substanz haben. Deshalb ist das Thema auch im Geschäftsleben so wichtig. Das Business wirkt oft zu wenig substanziell, wenn es um Sozialkompetenz – die so genannten „soften“ Themen – geht, kühl und kalkuliert.
Dort hat Respekt oft mehr mit der Hierarchie zu tun als mit einer natürlichen, menschen-zugewandten Autorität, die andere anzieht. Im Geschäftsleben habe ich gesehen, wie Leute, die menschlich eher unangenehm und rau waren, nur aufgrund ihres Status‘ von anderen hofiert, beneidet und qua Hierarchie „respektiert“ wurden, ohne dass ein authentischer Respekt im Spiel war. Wünschen tue ich mir jedoch, dass Echtheit, Substanz und menschliches, persönliches Interesse gänzlich auch im Business gelten. Da stellt sich die Frage: Wer macht meistens Karriere? Der Gentleman oder die Gentlewoman? Der emotionslose Zyniker oder der humane, feinfühlige Teammensch? Benehmen ist unsere Chance, die Atmosphäre zu verbessern – sofern es aus dem Inneren kommt.
Katharina:
Viele Menschen übernehmen im Geschäftsleben eine Rolle, hüllen sich ein in einen Mantel aus Konventionen und einstudierten Verhaltensweisen, die aber dem authentischen Auftritt im Weg stehen. Auch die schönste Geste macht niemanden glücklich, wenn sie nicht von Herzen kommt – und das spüren viele Menschen, gerade Frauen. Herzlichkeit ist im Business aber nicht Teil des Plans. In der Vergangenheit haben Frauen so manche Aufmerksamkeit überdies als Mittel zur Ungleichheit erkannt, deshalb ist es auch verständlich, wenn sie dressiert wirkende Floskeln und Gesten ablehnen. Inzwischen gibt es aber genug Formeln der gegenseitigen Wertschätzung, die in beide Richtungen angewandt werden: Vom Mann gegenüber der Dame und umgekehrt.
Das gegenseitige In-den-Mantel-helfen ist so eine Geste, das nehmen heute Männer wie Frauen gerne an, weil es ihnen Verrenkungen erspart. Oder das Aufhalten der Tür.
Fabrizio:
Das allerdings machen viele nur für den Chef oder die Chefin, also mit Personen von Status oder höherer Hierarchie. Und im Privatleben tun sie es gar nicht mehr, wie in der Öffentlichkeit oft zu beobachten. Höflichkeit sollte deshalb mehr mit dem Sein und der eigenen inneren Überzeugung zu tun haben als mit Codes. Dann kommen wir in den Genuss der Galanterie.
Katharina:
Gerade in Deutschland achten viele Menschen mehr darauf, wie ihr Auto aussieht als wie sie selbst aussehen … Auch gutes Benehmen kann gut aussehen lassen.
Bussi und Berührungen
Katharina:
Auf respektvolle Gesten reagieren Frauen aus der gelebten Erfahrung heraus manchmal brüsk, weil sie entweder unsicher sind oder eine Art Entmündigung befürchten.
Es geht um inhaltliche und menschliche Augenhöhe, die nie infrage stehen darf, den Tenor der Geste. Da kann ein Mann nur feinfühlig werden oder bleiben und herauslesen, welche Hilfestellung diese besondere Frau vor seinen Augen gerade vertragen kann. Das muss nicht das gleiche Quantum wie bei seiner Mutter sein! Es geht ja auch um das Vertrauen, dass der andere den Moment der Weichheit und Dankbarkeit, der entsteht, wenn man eine Aufmerksamkeit annimmt, nicht ausnutzt und daraus Erwartungen ableitet. Wie ein Geschenk sollte so etwas immer ohne Intention und Bedingung sein.
Fabrizio:
Berührungen sind nicht zuletzt auch ein interkulturelles Thema: In Italien ist das eher üblich als in Mittel- und Nord-Europa. Und eine Frau-Mann-Konstellation ist hier besonders heikel. Der rote Faden „Respekt und Wertschätzung“ sollte dann wieder zu Hilfe kommen. Wenn es akzeptiert wird, kann man ruhig den Arm der anderen Person anfassen, aber sparsam und verhalten. Die Hand auf den Oberarm zu legen kann durchaus als ein Machtsignal verstanden werden –, in Italien jedoch auch einfach nur eine Geste der Nähe bedeuten, ohne diktatorische Hintergedanken. Im Beruf sollte man auch an Dritte denken, ganz besonders bei den südlich der Alpen gern gesehenen Begrüßungsküsschen. Die passen oft nicht – auch oder gerade weil im Büro viele Partnerschaften beginnen. Da könnten Missverständnisse entstehen.
Redeanteile von Männern und Frauen
Fabrizio:
Es wäre doch schön, wenn es in einer beruflichen Situation so etwas wie Seminarregeln gäbe: Jeder hat fünf Minuten Redezeit. Danach darf die Moderation oder Sitzungsleitung unterbrechen.
Katharina:
Du hast eine akute Allergie gegen Logorrhöe, die Geschwätzigkeit, ich weiß. Meines Erachtens geht es um die Kunst des Zuhörens: Wenn Männer und Frauen – Menschen überhaupt einander zuhören, wirklich und ehrlich zuhören, bekommt das Gespräch automatisch einen inhaltlichen Bezug, der weiter bringt. Dann bekommen Floskeln der Marke „Wie mein Vorredner schon sagte …“ (und dann werden bereits ausgesprochene Inhalte wiedergekäut) keinen Raum. Wir dürfen uns aber auch Gedanken zu unserer Wortwahl, unserem Vokabular machen. Und damit meine ich nicht das generische Maskulinum, das männliche genauso wie weibliche Personengruppen allein mit der grammatikalisch männlichen Form beschreibt … wie zum Beispiel der Akademiker. Darüber werden wir noch lange diskutieren – zumal andere Sprachkulturen das viel entspannter sehen als wir.
Ich meine eher umgangssprachliche Zoten, die so genannten Herrenwitze wie „Fahrgestell“ – wenn Männer zum Beispiel über die Beine einer Frau sprechen. Dadurch bekommt die Betrachtung so etwas Billiges … Das Lachen über solche Witze ist immer ein Lachen auf Kosten anderer – in dem Fall der Frauen. Wenn Frauen nicht darin einstimmen, werden sie schnell als Spielverderber:innen abgetan. Dabei kann einem das Lachen wirklich im Hals stecken bleiben, wenn man sich so manche Zoten auf der Zunge zergehen lässt.
Fabrizio:
Ich plädiere für „Erst denken, dann sprechen“, ein etwas forsches aber doch passendes Sprichwort. In einer Rede kann auch ein einziges Wort die Atmosphäre kippen lassen. Es besser zu machen kann man üben, indem man einfach Synonyme studiert und bei Aussagen keinen sarkastischen Ton anschlägt. Ein nettes Wort in einem Ton zu sagen, der alles andere als Nettigkeit ausdrückt, ist ein Schuss nach hinten. Und wenn Wertschätzung eine Kommunikation prägen soll, dann sollte man Worte vermeiden, die direkt oder indirekt beleidigen, erniedrigen oder auf den Arm nehmen.
Katharina:
… oder eine Frechheit platzieren, die dann mit einem Emoticon wie einem Smiley oder Blinking Eye versehen wird. In dieser Fahrspur wechseln so manche unterschwellige Beleidigungen die Adresse und treffen subtil – aber unangreifbar – ins Mark. Andererseits müssen wir aber auch aufpassen, dass wir nicht jedes Wort auf die berühmte Goldwaage legen. Sonst wird Ironie, die von bitter-süß bis urkomisch und echt wohltuend sein kann, auch irgendwann ausgestorben sein. Da geht es um den Ton, von dem Du sprichst.
Duzangebot, Grüßen und Vorstellen
Fabrizio:
Im Business zählt die Hierarchie, im Privatleben weitestgehend Dame/Herr. Die Dame ist immer wichtiger als der Herr, habe ich früher gepredigt. Heute darf sie als erste am Zug sein, wenn sie es mag. Denn irgendeine Spielregel muss es ja geben, wie im Straßenverkehr.
Natürlich mit Ausnahme königlicher Hoheiten oder hoher kirchlicher Ämter als Beispiele. Also der „weniger Wichtige“ grüßt den „Wichtigen“ zuerst, wobei der „Wichtige“ dem „weniger Wichtigen“ zuerst die Hand reicht. All dies ist jedoch situationsbedingt. Wenn zum Beispiel „der weniger Wichtige“ einfach nicht grüßt, und stumm vor einem steht, ist es durchaus in Ordnung, wenn der hierarchisch Vorgesetzte zuerst grüßt, um die Spannung zu lösen. Dann gibt es noch das Thema Gastgeber:in im Beruf und privat. Er oder sie stellt den Gästen die anderen Personen vor, sofern das numerisch machbar ist.
Katharina:
Beim Duzangebot heißt es inzwischen, dass das Geschlecht keine Rolle mehr spiele. Aber erzählen Sie das mal einer Frau, die mit dem „Sie“ noch aufgewachsen ist und selbst entscheiden möchte, mit wem sie sich duzt! Gerade ein Duzangebot von Männern in Richtung deutlich jüngerer Frauen kann falsch aufgenommen werden. In der Praxis ist es daher klug, top-down die Reihenfolge Hierarchie – Geschlecht – Alter zu kennen. Demnach bietet die oder der Ältere der Jüngeren das Du an … es sei denn, die jüngere Person ist eine Frau. Die Frau bietet dem Mann das Du an … es sei denn, der Mann ist der Chef.
Denn Spielregeln hin oder her: Menschen sollen sich miteinander wohl fühlen. Nichts anderes wollte Adolph Freiherr von Knigge mit seinem Referenzwerk von 1788 sagen. Er hat übrigens auch nicht über den Umgang mit Messer und Gabel geschrieben, ihn interessierten vielmehr Standesunterschiede und wie sie zu überbrücken waren – eben durch Einheitlichkeit des Benehmens.
Hierarchie in Unternehmen
Fabrizio:
In Gruppen braucht es Hierarchien, um zumindest organisatorisch kein Chaos zu haben. Problematisch wird es allerdings, wenn die hierarchisch an der Spitze stehende Person von den Mitarbeiter:innen nicht akzeptiert wird. Das spürt jeder sofort. Da sind wir aber beim Thema Leadership, Führungsqualitäten, Persönlichkeit …
Katharina:
Gerade für Frauen dürfte die Kombination von hierarchischer Position und Höflichkeitsgesten sehr versöhnlich sein. Auch ein hoher Rang bringt Aufmerksamkeiten mit sich – genauso wie das Dasein als Dame an der Seite eines Mannes, der weiß, was Galanterie ist: Nämlich unaufdringliche, absichtslose Zuwendung.
Ich glaube, dass das Nonverbale da eine entscheidende Rolle spielt. Die Intention, dass es der oder dem anderen gut geht, um Galanterie auch einmal von den Geschlechterrollen abzulösen. Den Vortritt gelassen oder die Tür geöffnet zu bekommen, ist kein Zeichen, dass die Frau verniedlicht werden soll –, sondern im Gegenteil gelebte Achtung, die der Herr oder mehrere Herren ihr zollen. In hierarchisch gleichgestellten Gruppen unter Kollegen bin ich allerdings nicht der Meinung, dass die Frau die wichtigste Person im Raum ist. Dennoch müssen sich Augenhöhe einerseits – und galante Gesten andererseits nicht gegenseitig ausschließen. Das dürfen wir Frauen gelassen sehen.
Fabrizio:
Abstimmen, harmonisch und mit Witz solche Situationen zu meistern ist besser, als steif und stur auf Etikette-Regeln zu bestehen. Wer anderen Menschen, unabhängig vom Geschlecht, Aufmerksamkeit schenkt, ist automatisch höflich unterwegs, ob Mann oder Frau. Katharinas – und auch meine – Definition von Galanterie als unaufdringliche, absichtslose Zuwendung gilt für alle.
Sie ist keine Frage der Geschlechter mehr.
Ob das auch der sprichwörtliche alte weiße Mann inzwischen verstanden hat? Das diskutieren Fabrizio und Katharina im nächsten Teil: Dort erfahren Sie, welche Gastgeberqualitäten von früher bis heute zeitlos aktuell sind – und welche Gesten bei beruflichen Treffen und beim privaten Daten gut ankommen.
Gesprächspartner Fabrizio Baron Galli Zugaro ist Bankmanager, Coach, Mentor und Trainer für interkulturellen Umgang und Business Etikette.
Titelfoto: Alena Darmel, lizenzfrei von Pexels
Portraitfoto Fabrizio Galli Zugaro: Gerardo Gaetani d‘Aragona