Zwei Fotos – 30 Jahre – ein Selbstvergleich

Sich mit anderen zu vergleichen kann trügerisch sein – jedenfalls wenn es um das eigene Älterwerden geht, ein ewiger Freibrief der Selbstausrede. Die Nachbarin, die ganz andere Voraussetzungen und ein anderes Leben hatte, der Kumpel, der zwar Jugendschwarm anhimmelnder Mädchen war – später im Leben aber viel Leid erfahren musste: Sie können kein Spiegel sein für das eigene Selbst und die Erkenntnis wie man in den vergangenen Jahren gelebt hat.

Wir ziehen nämlich mit der Gemeinheit des eigenen Unbewussten immer genau die Personen zum Vergleich heran, denen gegenüber wir vermeintlich gut abschneiden. „Gegen die oder den habe ich mich doch echt gut gehalten!“ mag sich mancher denken. Nur der Vergleich, der hinkt.

Zum Buch: „Stilvoll älter werden – Erfolgreich über 50“

Ganz anders fällt er nämlich aus, wenn man zwei Fotos von sich selbst vergleicht. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, betrachte ich zwei Bilder von mir – das eine vom ersten Foto-Shooting im zarten Alter von 18, das andere aktuell, rund 30 Jahre später.

Der Fotograf von damals, Louis Antonius, ist noch aktiv. Von ihm gibt es ein cooles Porträt im Netz und es scheint, so meine Recherche, dass er sich auch in der Umweltfotografie engagiert. Der Visagist von damals, der Franzose Philippe le Lann, lebt nicht mehr. Und doch sind beide mit Blick auf das alte Bild so lebendig wie damals im Berliner Hinterhof-Fotostudio der 80er Jahre. 1984 hatten wir übrigens gerade gemeint, George Orwell´s düstere Prophezeiungen hinter uns zu lassen, die heute so wahr sind wie noch nie.

  • Habe ich das Versprechen gehalten, das in jedem jungen Gesicht steht?
  • Erzählen meine Erfahrungslinien mehr von der Trauer oder mehr vom Glück?
  • Mehr von Lachen als von Gram?
  • Denke ich gut über mich selbst und andere?
  • Und wie möchte ich in weiteren 10, 20 oder 30 Jahren aussehen?

Das sind die Fragen, die mich beschäftigen. Und auch das innere Feuer suche ich in den eigenen Augen: Aus der heutigen Perspektive wirkt das junge Gesicht fast kindlich, weich und unberührt, sein Ausdruck so expressiv wie der einer geschlossenen Blume. Bei jugendlichen Fashion-Models hat das sogar seinen Vorteil: Nichts lenkt von der Kleidung ab, um die es gehen soll. Erst ein reifes Gesicht entwickelt aber, was man Gesichtszüge nennen kann – Konturen, die Charakter sichtbar machen. Eine Persönlichkeit, die man sich merkt. Bei mir selbst: Tango im Blick.

Und das ist vielleicht die schönste Botschaft am Älterwerden: Die meisten Menschen gewinnen an Ausdruck, wenn sie älter werden.

Wenn sich Jugend und Reife begegnen und ein Mensch seine volle Schönheit entfaltet, sind viele in der zweiten Hälfte ihrer Dreißiger. Frauengesichter lassen innehalten, sobald diese Kinder bekommen haben. Aber das mag nur meine Wahrnehmung sein.

Wenn man die Qualität der Ausstrahlung bei selbst aufgenommenen Smartphone-Porträts anschaut, fehlt der Charakter meist. Als ich zum Beispiel so ein Selfie versuchte, um mein Jugendporträt im gleichen Styling als Retrospektive des eigenen Signature-Looks nachzustellen, erntete das Bild entsprechende Rückmeldungen von meinen Freunden: „So alt siehst Du live gar nicht aus.“ Wie nett. „Deine Augen sind voll von der Sorge, ob das Foto gelingt.“ Wie wahr…

Aus der Erfahrung mit Selfies lässt sich demnach lernen, was der (fotografischen) Selbstdarstellung über 50 gut tut:

Ein gutes Porträt hat einen Fotografen

Und dieser oder diese sollte man nicht selbst sein. Die Leuchtkraft fehlt, wenn das Gegenüber nur ein Spiegel ist, der einem möglichst gute Posen abringen will, ansonsten aber für die Ausstrahlung nicht viel tut. Im Gegenteil: Natürlichkeit und Echtheit brauchen losgelöste Bewegungen. Bevor Sie also sorgenvolle Selfies von sich posten, verzichten Sie lieber auf ein Foto und liefern Inhalte.

Die Perspektive ist wichtig

Zum Beispiel wirkt schon allein das Kinn straffer, wenn man es strecken und den Hals lang machen kann – was bei einem Selfie nicht geht, außer, wenn man sich von schräg oben fotografiert. Diese Perspektive macht aber jeden Menschen „kleiner“, was mit der Kraft einer gestandenen Persönlichkeit nicht harmoniert.

Weniger ist mehr

Ein Gesicht, dessen Konturen von der Erfahrung schärfer geworden sind, will eher weniger als mehr Make-up – und keine harten Linien. Lipliner und Kajal machen sich an gekräuselten Lippenkonturen und traurigen Augen nicht gut und verstärken die Zeichen der Zeit noch. (Für eine sanfte Lippenkontur verwendet man heute übrigens helle Lip Line Definer, die außen um die Kontur gezogen werden und ein Auslaufen der Lippenfarbe verhindern.) Und auch dunkle Farben sind eher suboptimal.

Schwarz vertieft die Erfahrungslinien

und sollte nicht so dicht am Gesicht getragen werden. Die Nicht-Farbe reflektiert ins Gesicht und macht Schattierungen zu Furchen, die niemand braucht.

Die Haarmenge und die Haarlänge sollten in Balance sein

Denn mehr wird es nicht, das Haupthaar. Die Löwenmähne von damals kommt nie wieder, und bevor der Skalp dünn wird, sollte man sich von dem Wunsch nach langen Haaren trennen. Es gibt nur wenige Männer und Frauen in fortgeschrittenen Jahren, deren Haarqualität für den langen Look genügend hergibt … schon allein, weil die Talgproduktion der Kopfhaut mit dem Alter abnimmt und die Haare weniger Glanz haben. Und wenn sich jetzt noch ein(e) Fotograf(in) findet, die oder der ein Bild im damaligen Original-Styling mit Lederjacke, aufgestelltem Kragen und Minimal-Ohrschmuck (nach-) fotografiert – dann ist der Vergleich erst richtig fair.

Foto: Louis Antonius 1984, Foto im Text: Antje Kern