Sapeurs und Sapeuses zeigen Haltung

Im fernen Afrika hat sich seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts ein Kult entwickelt, der so präzise wie kaum etwas anderes Halt und Haltung verkörpert – eine alte Tradition, die durch Homeoffice, Corona und seine wirtschaftlichen Folgen heute auch bei uns eine seltsame Aktualität entwickelt: Die Bewegung der Sapeurs

Was lässt sich lernen aus einem Kulturgut, das in den Armenvierteln von Brazzaville seinen Ursprung hat und sich nun anschickt, ein globaler Trend zu werden?

Dort im Kongo, der so weit weg zu sein scheint, finden sich Sonntag nachmittags oder auch abends nach getaner Arbeit in Jobs, die kaum einer bei uns machen möchte, Menschen zusammen, um sich selbst  und ihren Kleiderkult zu feiern. Den Spaß am Gutaussehen. Sie zelebrieren die Freude, die edle Textilien ins Leben bringen.

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In den tiefsten Tiefen eines Alltags, der sonst kaum zu ertragen wäre, sparen sie jeden Kongo-Franc, um sich zu leisten, was angesichts der offensichtlichen Armut als Wahnsinn erscheint: Designeranzüge und -brillen, Schuhe, die auch bei uns purer Luxus sind, und kostspielige (Marken-) Accessoires, die jede Erscheinung zum Dandy adeln.

Nur mit den Farben läuft das anders im Kongo, der so weit weg von uns zu sein scheint: Anzüge in grellen Farben und Muster, an die sich hierzulande kaum jemand heran wagt. Dort heißt es, die Weißen wüssten zwar, wie man Kleider schneidert –, aber nicht, wie man sie trägt. Ein echter Sapeur nimmt für sich in Anspruch, dass nur er es ist, der die Kleidung zum Leuchten bringt.

Übersetzt aus der französischen Sprache des Landes steht die SAPE für „Societé des Ambianceurs et Personnes Elégantes“ – die Gesellschaft der Stimmungsmacher und eleganten Personen. Dort in der bitteren Armut braucht man auch gute Stimmung. Und bei uns?

Weibliche Dandys

Auch kongolesische Frauen haben die Stil-Domäne der Männer längst für sich entdeckt, streifen ihre Frauenkleider ab und kleiden sich im Herrenstil europäischer Mode aus Paris und Mailand –, ein kosmopolitischer Auftritt, der den Stolz berührt und in jedem Moment beweist, dass Kleider Leute machen: Wer gut gekleidet ist bewegt und verhält sich anders. Der Herrenanzug „funktioniert“ auch für die Frauen als Stellungnahme besser, sagen sie.

Und natürlich sind auch sie inzwischen in einer eigenen Community organisiert, nennen sich „Sapeuses“ und haben auch Gebote erlassen, wie die Neue Zürcher Zeitung in einem Online-Artikel vom 30. Januar 2020 berichtet:

„Sich schön anziehen, sauber sein, Frieden verbreiten, gut frisiert, rasiert und parfümiert sein, toll aussehen, sozial sein, Haltung zeigen, stolz sein, sich cool bewegen, viele Kleider haben.“

Design oder Nicht-Sein

Wo Kleidung zur Kunst wird, wird der Mensch ein Model und der Raum zur Bühne. Anders könnte man auch formulieren: „Man sieht mich – also bin ich.“ Sich inmitten eines elenden Umfelds für sich selbst und andere schön zu machen ist eine zutiefst humane Geste, welche die (Selbst-) Achtung hebt. Der Akt, einer Welt, die man nicht ändern kann, Würde entgegenzusetzen. Eine Überlebensstrategie in den Slums des eigenen Alltags.

Denn wie wir uns kleiden und geben trifft eine Aussage darüber, welchen Wert wir uns selbst, dem Anlass und dem Gegenüber entgegen bringen.

Ein Ruf, der verpflichtet

Die Idee hinter dem Kult hat zudem pazifistische Züge: Edle Tuche verlangen nach formvollendeten Umgangsformen – bekennende Gewaltlosigkeit nach Verzicht auf Aggression. Auseinandersetzungen rücken in die Ferne, wenn ein sündhaft teurer Anzug die Figur umschmeichelt. Auch eine Krawatte macht sich schlecht, wenn sich der Mensch, der darin steckt, nicht gut benimmt. Und da ist sie wieder – die Eleganz des Geistes.

Was heißt das nun für uns selbst im gar nicht so fernen Europa?

Während wir – so scheint es – immer lässiger werden und uns zwischen Videokonferenz und Waschmaschine mehr und mehr in alte Jeans und schlaffe Hoodies hüllen, macht man sich Woanders chic, wenn man nichts mehr zu verlieren hat. Dort sind Eleganz, Charisma und Wissen über Kleidung zu wahren Werten avanciert.

Im Zug des Nachhaltigkeits-Gedankens müssen es auch keine Neuanschaffungen sein, die wir mit dem wohlwollenden Auge unseres Umfelds teilen. Denn Hand auf´ s Herz: Schauen Sie selbst lieber einen sorgfältig, liebevoll und zurecht gemachten Menschen an – oder einen bequem gekleideten, der aussieht wie alle anderen?

Fast jede Garderobe weist Stücke auf, die einzigartig und besonders sind, ein Kompliment an sich selbst und jeden Betrachter. Sie wollen nur wieder gesehen, aktiviert und kombiniert werden …

Gerade in einer Krise können wir dafür sorgen, dass wir uns selbst und anderen Achtung entgegenbringen. Und wenn es die Kleidung nicht ist, dann sicherlich etwas anderes, das Sie und andere glücklich macht und Ihre ganz persönliche Eleganz des Geistes zum Ausdruck bringt.

Man kann einem Menschen alles nehmen – aber nicht seinen Stil. Schließlich ist Glanz eine Frage der Einstellung und Haltung.

Titelfoto: August de Richelieu, lizenzfrei von Pexels

Foto im blauen Anzug: Wikimedia Commons von Enric Bach – Flickr: Entrevista a Mangrokoto Bayaya, CC BY 2.0

Foto mit farbigen Sakkos: Wikimedia Commons von Eguanakla – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0

Foto unten: Jerry E-Mattews, lizenzfrei von Pexels