Was Du im Tanz über gute Führung lernen kannst

Nach den Trends im Management-Training mit Pferden und Kletterwäldern ist es jetzt vielleicht an der Zeit für das Naheliegende: Das „Live“-Training mit Menschen. Wer Tanz und Tänzer beobachtet, wird sensibilisiert für die Kunst der Führung, die sich hinter jedem guten Tanz verbirgt. Und was liegt näher, als daraus für sich und den eigenen Erfolg lernen zu wollen? Anders als die traditionellen Tänze wie Walzer, Foxtrott oder auch die lateinamerikanische Rumba folgt der Tango Argentino, der seit 2009 zum immateriellen Weltkulturerbe gehört und immer mehr Menschen in seinen Bann zieht, keiner vorgegebenen Choreografie, sondern ist ein getanzter Dialog. Und von der Qualität der Kommunikation hängt es ab, ob der Tanz gelingt – wie im Geschäftsleben auch.

Im Dreiklang zwischen Musik, Bewegung und zwei Menschen entsteht höchste Achtsamkeit. Um ein guter Tänzer zu werden, braucht es Demut, Präzision und Einfühlungsvermögen – die Fähigkeit, Fertigkeiten zu erkennen und auszuschöpfen, aber auch Grenzen anzuerkennen und zu akzeptieren. Bei sich und beim anderen.

Tango Argentino wird anders als die sich entwickelnde figuren-betonte Nuevo-Bewegung, die von jungen Tänzern oft bevorzugt wird, in der engen Umarmung getanzt: Ein Arm umschließt den Tanzpartner, der zweite, angewinkelte Arm legt die Hand in die des anderen. Meist ruht der Kopf leicht und ohne Druck an dem des Partners. Die eigentliche Führung geschieht nicht durch die Arme, sondern auf Höhe des Brustbeins, dem eigentlichen Kontaktpunkt im Paar, während die Beine für die Bewegung frei sein sollten. Symbolisch gesprochen ist es das Herz, das führt.

Alle anderen Tänze bedienen sich der Arme, um zu führen. Im Tango aber lernt man in kurzer Zeit viel über den anderen und sich selbst, hier offenbart sich der Kern der Stärken und Schwächen von beiden. Neben Körpertemperatur und Körperduft, die natürlich im Business nur selten wahrnehmbar sind, teilen sich Musikalität und Sensibilität, Verbindlichkeit und Stressverhalten – zum Beispiel bei schneller werdendem Takt – unmittelbar mit. Aber auch, wenn der Tänzer oder die Tänzerin gerade angespannt und mit dem Kopf woanders ist …

Traditionell war es im Tango Argentino der Mann, der führte – aber das muss heute längst nicht mehr so sein. Heute tauschen auch hier zunehmend mehr Frauen die eleganten High Heels gegen flachere Tanzschuhe und führen sowohl Frauen als auch Männer. Das Spiel mit der Rolle macht es reizvoll – und kann für Führungskräfte tiefe Erkenntnisse bringen. Der Einfachheit halber ist hier von dem „Führenden“ und „Folgenden“ die Rede, egal ob Frau oder Mann.

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Der Tanz beginnt bei den ersten Takten mit einer Art „Einwiegen“, durch das der Führende dem Folgenden durch eine kaum merkliche Gewichtsverlagerung von einem Bein auf das andere mitteilt, auf welchem er gerade steht und mit welchem Bein er demnach auch loslaufen wird. Sein Job ist es, Richtung, Schrittlänge und den Impuls vorzugeben. Die Vermutung, dass viele Manager ihre Mannschaft nicht da abholen, wo sie steht und versäumen mitzuteilen, von welchem Fuß und wohin sie gehen wollen, ist nicht einmal gewagt.

Der Folgende hat die Aufgabe, sich auf die Führung einzulassen, Vertrauen zu entwickeln und zu „Lauschen“, welche Bewegung die nächste sein wird. Mit der Zeit entwickelt sich durch die Tanzroutine eine vorausahnende Reaktionsfähigkeit, die vielen Unternehmen gut täte. So ganz nebenbei ist der getanzte Dialog in der engen Umarmung eine zutiefst pazifistische Angelegenheit: Für Manager, die ihr Geschäft als ständigen Kampf um Marktanteile, gegen Konkurrenten und den Widerstand vermeintlich unwilliger Mitarbeiter erleben, dürfte das eine mehr als wohltuende Abwechslung sein. Im Tanz wird besonders deutlich, dass Widerstand zu nichts führt – wenn die Richtung klar ist. Das schönste Tanzerlebnis entsteht in der vollen Konzentration auf den Partner, losgelöst von Raum und Zeit. Dadurch entwickelt sich ein geschärfter Instinkt für Veränderungen, Stimmungen und das Umfeld, das nach dem Auftauchen aus der Musik wieder mit neuen Augen und klarem Blick wahrgenommen wird. Intensität und Weitblick wechseln einander ab.  „Am Puls der Zeit“ kann somit auch bedeuten: Im Takt des Tango.

Was noch lässt sich von der tänzerischen Führung auf den Erfolg in verantwortungsvollen Aufgaben übertragen?

  • Die enge Umarmung des Tanzes verlangt wie nichts anderes Respekt vor dem Partner. (Dies ist übrigens oft am umschließenden Arm sichtbar.) Dieser Respekt ist auch Voraussetzung für jede Zusammenarbeit.
  • Beide sind verantwortlich für die so genannte „Paarachse“, also die Stabilität in Bewegungen und Drehungen. Auch ehrgeizige Geschäftsmodelle und Projekte verlangen das.
  • Der Führende darf den Folgenden nicht überfordern. Es ist seine oder ihre nobelste Aufgabe, die Tänzerin oder den Tänzer im eigenen Arm gut aussehen zu lassen. Manche Führungskräfte täten gut daran, ihre Mitarbeiter gut aussehen zu lassen (statt sich selbst), was unmittelbar auf die eigene Führungsqualität zurück spiegelt und Sie als wahren Meister der Führung outet.
  • Fehlerkultur: Ein Patzer im Tanz liegt meistens an der Führung bzw. einer falschen Angabe. Statt die Schuldfrage zu stellen, halten beide inne, sammeln sich und tanzen weiter. Im Vordergrund steht das gemeinsame Erleben bzw. im Beruf das Wirken.
  • Das Spielbein des Folgenden gehört dem Führenden, das Standbein ihm selbst. Nur wenn der Führende also die Richtung und den „Rahmen“ vorgibt und dabei Freiraum lässt, kann der Folgende ihn mit der besten tänzerischen Performance füllen, die sein Können erlaubt. Auch das lässt sich auf unsere Arbeitswelt 1:1 übertragen.
  • Ein Tanzsalon ist der falsche Ort, um Launen abzureagieren. Wer schlecht gelaunt auf einer Milonga (einer Tangoveranstaltung) erscheint, wird die Erfahrung machen, dass er oder sie nicht aufgefordert wird. Tangotänzer sind sensibel – wie Kunden und Mitarbeiter übrigens auch.

Im Tango ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Mann und Frau sich entsprechend auch äußerlich vorbereiten, gepflegt und attraktiv gekleidet erscheinen, damit der optische und olfaktorische Eindruck überhaupt zu einer Umarmung einlädt. Und hier haben wir auch die untrennbare Verbindung zu meinem Kernthema: Dem guten Stil im Geschäftsleben und darüber hinaus!

Foto: Silke&Chris Photography