Auf Du mit dem Chef? Spuren im Schnee der Duz-Kultur
Was hat die lässige Duz-Kultur bisher gebracht? Haben sich die Unternehmen, in denen das globale Du ausgerufen wurde, drastisch verjüngt? Gab’ es im Interesse des Employer Branding einen Run junger High Potentials auf die Personalabteilungen? Ist die Mitarbeiter-Zufriedenheit durch den verbalen Kuschelkurs messbar gestiegen? Der Respekt füreinander so groß wie nie und die Zahl der Kunden und Follower größer als vorher? Das muss sich jedes Unternehmen selbst beantworten.
Was – außer reichlich Presserummel – hat die modische Anrede noch gebracht? Vor allen Dingen doch dieses: Sie hat Verwirrung gestiftet und nicht nur für Unterhaltung gesorgt, sondern auch für Ablenkung von den Dingen, die inhaltlich wichtig sind. Es ist ein bisschen wie mit ungeschickt gewählter Kleidung, durch die der Betrachter nur noch unkonzentriert zuhören kann, weil er heimlich überlegt, wie es zu diesem Mode-Statement wohl kam … Dabei sollten Sie an dieser Stelle „modisch“ und „modern“ unbedingt unterscheiden, das erste folgt einem kurzfristigen Trend, das zweite einem sich entwickelnden Zeitgeist.
Eben jener Zeitgeist macht es aber nicht nur leichter, sondern manchmal auch schwerer: Weil Knigge in erster Linie im Sinn hatte, dass sich Menschen miteinander wohlfühlen sollen, und weil die individuelle Anrede zum Wohlbefinden beiträgt, frage ich am Beginn eines Seminars ab, wie die Teilnehmer von mir angesprochen werden möchten. In der Regel läuft es auf einen einheitlichen Modus hinaus.
In einem Kurs geschah es aber, dass sich ein paar die Anrede mit Nachnamen oder Vornamen und Sie wünschten – nur der Chef und zwei seines Teams entschieden sich für den Vornamen mit Du, um ein Zeichen zu setzen. Was für ein Balance-Akt! “Duzis machen” nennt es der Schweizer, wenn er sich mit Geschäftspartnern und privaten Kontakten auf die Anrede mit Du verständigt. Die Episode zeigt nur beispielhaft, was in Organisationen, Clubs und Wirtschaftsunternehmen gerade passiert: Im besten Fall ein Dialog auf Augenhöhe, im ungünstigsten ein Duzis-Durcheinander.
Wie sich die Duz-Kultur sanft statt plötzlich integrieren lässt, lesen Sie hier:
Wie lässt sich aber Ruhe in das Thema bringen, wenn das Du schon längst zum Alltag gehört? Welche Arten begegnen uns und wie wird es elegant? Denn jünger macht es uns nicht, das Duzen. Höchste Zeit, die verschiedenen Stile des Du zu reflektieren:
Das Kumpel-Du: Im Community-Zeitalter begegnet es uns an nahezu allen Stellen des sozialen Miteinanders vom virtuellen Kontakt bis zu Sportarten oder einer Begegnung in betont bodenständiger Location. Der Rahmen prägt die Stimmung und damit das Grundverständnis, ob wir uns persönlich oder in einer Rolle sehen, beruflich oder privat. Aber muss wirklich jeder virtuelle Kontakt ein Duz-Kumpane sein – auch wenn man ihn gar nicht kennt?
Auch die attraktive Frau neben Ihnen bei einer Vernissage ist es erstmal nicht. Es kann nämlich sein, dass Sie selbst zwar mit dem Künstler befreundet sind und somit einen direkten Bezug zum Gastgeber haben, die Dame den Künstler – Ihren Freund – selbst aber nicht kennt und nur im Presseverteiler der Galerie ist …
Das stellvertretende Du: In manchen Firmen ruft man an, verlangt nach einem Ansprechpartner per Nachnamen und erfährt, dass „der Henning gerade nicht da“ ist. Wahlweise kann es auch Lisa, Tim, Thomas oder „Susi“ sein.
Gerade die Verwendung von Kosenamen gegenüber Dritten ist mehr unfreiwillige Nähe als dem Geschäft gut tut. Im Kontakt nach außen ist der Nachname noch immer professioneller und sicherer. Man weiß ja nie, wer es ist, der anruft.
Das Guru-Du: Die spirituelle Szene und immer mehr Coaches bedienen sich dieser Technik, um unser Inneres schneller zu erreichen und die natürliche Schutzfunktion der Seele zu umgehen. Diese nämlich möchte sich erstmal anschauen, mit wem sie es so zu tun hat. Denn die Kultur des Siezens hat den wunderbaren Vorteil, dass man langsam in einer Beziehung ankommen kann. Je beliebter das Du in unserer täglichen Kommunikation aber wird, desto weniger Effekt wird die strategische Anrede erzielen.
Das temporäre Du: Wesentlich eleganter ist es, im Interesse einer unkomplizierten Ansprache, die von den Inhalten nicht ablenken soll, ein temporäres Du anzubieten. Fortbildungen, Workshops und Wochenendseminare zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit etwa verlangen Konzentration auf die Inhalte – und kein Duzis-Durcheinander. Bei heterogenen Gruppen ist es also eine schöne Option zu fragen: „Ist es in Ordnung, wenn wir uns während des Seminars mit Du ansprechen?“
Dann hat jeder noch die Wahl, anschließend dabei zu bleiben oder wieder zum Sie überzugehen. Ein Du verliert an wert, wenn es unfreiwillig ist.
Das strategische Du: Bei Handelsunternehmen oder auch pauschalen Duzangeboten von großen Chefs bekommt die Geste schnell etwas Strategisches. Auch beim Guru können wir nicht davon ausgehen, dass er allein unsere Heilung im Sinn hat: Alles braucht einen Gegenwert. Nur sollte der Wert beidseitig sein.
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